Lasciallo

Aus Monti di Cauco
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Bei der Siedlung Lasciallo handelt es sich nicht, wie oft angenommen, um ein Monti von Cauco, sondern um eine einst ganzjährig bewohnte Siedlung!

Geschichte

Die Geschichte von Lasciallo (heute "Lascial" in der Landeskarte) zu schreiben, erweist sich als ausserordentlich schwierig. Es fehlen, da es sich nicht um eine Gemeinde, sondern um eine kleine Fraktion (Weiler) handelt, die schriftlichen Quellen. So wurde der Name Lasciallo im 17. Jh. oft nicht einmal im Zusammenhang mit der Kapelle verwendet (1605 cappella di Cauco, 1626 /1683 cappella in Artuallo). Angesichts der dürftigen Quellenlage sind wir auf archäologische und baugeschichtliche Spuren angewiesen.

Der Weiler ist mit Sicherheit älter als der Dorfkern von Cauco; ein heute noch stehendes Wohnhaus wurde im frühen 16. Jh. erbaut. Seine maximale Einwohnerzahl erreichte der Ort wohl bereits im 17. Jh. Im Jahre 1746 sollen 12 Familien in Lasciallo wohnhaft gewesen sein, diese Zahl entspricht der Anzahl Wohnhäuser, die ich anhand vorhandener Mauerreste noch vor dem Bau der Forststrasse nachweisen konnte. Wesentlich mehr Familien als im Jahr 1746 können es nie gewesen sein, denn von ihrer Grösse her kamen nur 1 bis 2 Gebäude als mögliche Doppelwohnhäuser in Frage.


Aufgabe der Siedlung

In der 2. Hälfte des 18. Jh. gingen die Bevölkerungszahlen im mittleren Calancatal dramatisch zurück, eine markante Klimaverschlechterung führte zu verkürzten Vegetationszeiten und Missernten beim Getreide. Davon war auch Lasciallo betroffen, schon 1830 standen mindestens 3 Wohnhäuser leer, eines davon war vermutlich schon teilweise eingestürzt. Der einsetzende bauliche Zerfall der Siedlung lässt sich anhand alter Fotos nur lückenhaft rekonstruieren, denn schon zu Beginn des 1. Weltkrieges existierten von einem Teil des einstigen Dörfchens nur noch Mauerreste. Offensichtlich war spätestens nach der Abwanderungswelle zwischen 1830 und 1850 die Einwohnerzahl so dramatisch geschrumpft, dass viele frei werdende Gebäude in der Folge unbenutzt blieben. Auf Grund des baulichen Zustandes von Gebäuden und Ruinen um 1930 kann davon ausgegangen werden, dass schon zu Beginn des 20. Jh. nur noch 2 oder 3 Häuser bewohnt waren.

Auffallend sind, etwa im Vergleich zum fast genau gleich grossen Weiler Bodio, der frühe starke Bevölkerungsrückgang und das Ausmass des Gebäudezerfalls.

Wohnhäuser um 1800 Wohnhäuser 1900 bewohnt Wohnhäuser 1900 in Ruinen Wohnhaus-Ruinen 1930 Wohnhaus-Ruinen 1980
Bodio 13 11 - - -
Lasciallo 12 2 oder 3 6 7 10

Wieso wurde eigentlich das klimatisch begünstigte Lasciallo von der Abwanderung viel radikaler betroffen als Bodio? Der Entscheid für oder gegen Emigration hängt nie allein vom materiellen Umfeld ab, sondern hat auch mit Risikobereitschaft, Abenteuerlust u.a.m. zu tun. Häufig zogen auch aus abgelegenen Dörfern grössere Gruppen von Verwandten oder Nachbarn gemeinsam weg. Dennoch, über die ganze Zeit betrachtet, war der Bau der Fahrstrasse im Talboden (1830) der ausschlaggebende Faktor für die unterschiedliche Entwicklung der beiden Weiler. Vor 1830 war der Fussweg von Cauco über Lasciallo und Bersach nach Braggio mindestens so wichtig wie jener von Cauco nach Selma und Arvigo. Nachher aber waren die Dörfer und Weiler an der einzigen befahrbaren Strasse in deutlichem Vorteil. Dazu kommt, dass die Strasse die Zufuhr von preisgünstigem Getreide ermöglichte, wodurch der Getreidebau im Tal in den kalten Witterungsperioden des 19. Jh. stark zurückge- drängt wurde. Nun lagen aber über Lasciallo, in klimatisch bevorzugter Lage, einst rund 40% der terrassierten Ackerflächen der Gemeinde Cauco. Wir gehen daher kaum fehl in der Annahme, dass zwischen dem Zusammenbruch des Getreideanbaus ab 1840 und dem frühen Niedergang von Lasciallo ein Zusammenhang besteht.

Im Rahmen einer Berglandwirtschaft, in der Viehhaltung zunehmend dominierte, wirkte sich die extreme Parzellierung auf dem Areal der ehemaligen Ackerterrassen besonders negativ aus. Zwischen Felsbrocken und Trockenmauern eingeklemmte Parzellen von oft nur 10 bis 20 Quadratmetern Fläche sind als Heuwiesen wenig geeignet, da sie kaum den Einsatz einer Sense ermöglichen.

So ist dieses ursprünglich wertvollste Kulturland in der Folge vielfach zuerst aufgegeben worden. Das Leben im sterbenden Kleindorf wurde speziell im Winter beschwerlich, sodass die letzten Familien, zuerst im Winter und dann endgültig, unten in Cauco Wohnsitz nahmen. Ab 1962 war nur noch ein einziges Haus bewohnt, dort starb 1980 Bartolomeo Pasini, der letzte ganzjährige Bewohner von Lasciallo. Zehn Jahre später drohte sogar die wunderbare Kapelle, in der 1946 letztmals Messe gelesen worden war, einzustürzen.

Bistum und Kanton hatten sie bereits aufgegeben und der Zwerggemeinde fehlten die finanziellen Mittel für die dringend notwendige Restaurierung. Dank der Initiative eines Idealisten, seit 1991 Hausbesitzer in Lasciallo, konnte sie buchstäblich in letzter Minute gerettet werden. Dieses Unternehmen wäre — aus finanziellen Grün- den — ohne die seit 1979 nahe vorbei führende Forststrasse nicht möglich gewesen, für einen permanenten Wohnplatz Lasciallo kam die Strasse viel zu spät. Eine Kapelle mit der reichsten Barock Stukkatur des Calancatals, zwei Häuser, ein Stall und imposante Mauern früherer Ackerterrassen, das ist Lasciallo im Jahre 2010.