Monti

Aus Monti di Cauco
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Der durch eine Klimaverschlechterung ausgelöste und durch weitere Faktoren geförderte Bevölkerungsrückgang im Calancatal ab dem frühen 18. Jahrhundert führte zunächst zu einem schrittweisen Rückzug der Agrarwirtschaft aus den Randgebieten des Wirtschaftsraumes (Hochlagen, schwer zugängliche Steilhänge). Das 19. Jh. brachte eine Extensivierung der Landnutzung , einerseits durch die Aufgabe des Getreidebaus und andererseits durch die ausschliessliche Nutzung früherer Mähwiesen als Weide. Bis 1930 sind auch schon unterhalb von 1500 Höhenmetern gelegene Kulturlandflächen an den vorrückenden Wald verloren gegangen, betroffen sind insbesondere terrassierte frühere Ackerflächen.

Die wirtschaftliche und demographische Entwicklung seit dem 18. Jh. hatte auch Auswirkungen auf die Siedlungslandschaft. Immer mehr Gebäude auf den Maiensässen blieben ungenutzt und sind anschliessend wegen fehlendem Unterhalt der Dächer zerfallen. Den am alten Kirchweg von Sta. Domenica nach Sta. Maria gelegenen Weiler Lasciallo, der im 19. Jh. von zahlreichen Familien verlassen wurde hat es besonders hart getroffen. Von den einst 12 Wohnhäusern stehen noch deren 2, von den 14 Ställen noch ein einziger.


Vergangenheit trifft Zukunft

Mit dem allmählichen Verschwinden der traditionellen Berglandwirtschaft nach dem 2. Weltkrieg ging auf den Monti von Cauco eine beschleunigt fortschreitende Verbuschung und Vergandung früherer Äcker, Wiesen, Weiden und Fusswege einher. Seit 45 Jahren bemüht sich hier die Arbeitsgemeinschaft Val Calanca (AVC) mit bescheidensten Mitteln einen Beitrag zur Bewahrung wichtiger Strukturelemente der historischen Kulturlandschaft, Zeugnisse früherer Wirtschaftsformen und Lebensweise, zu leisten. Dieses Ziel soll verknüpft werden mit zukunftsgerichteten Aktivitäten für einen sanften Tourismus und eine zeitgemässe Umweltbildung.

Erster Schritt war die Instandstellung oder eher Wiederherstellung kaum oder gar nicht mehr begehbarer Fusswege zwischen dem Dorf und den Alpen. Schritt für Schritt wurden sie freigeholzt, von Gestrüpp und Felsbrocken befreit, wurden abgerutschte Teilstücke und zerstörte Treppen ersetzt und schliesslich gebrochene Wegmauern ausgebessert oder wieder aufgebaut.

Der Sentiero nach La Motta/Aion, heute im Inventar historischer Verkehrswege der Schweiz als Objekt von regionaler Bedeutung aufgeführt, war 1970 in einem erbärmlichen Zustand und wurde im Rahmen der Güterzusammenlegung und des damit verbundenen Baus der Forststrasse im unteren Teil formell aufgehoben. Der Sentiero war als 1 bis 1 ½ Meter breiter Fussweg angelegt, je nach Steigung mit mehr oder weniger häufigen Stufen, Fahrzeuge gab es in der traditionellen Landwirtschaft ja keine. Wo er schräg zum Hang verläuft brauchte es talseitig mehrheitlich kleinere oder höhere Stützmauern. Manche Wegabschnitte, vor allem die steilen oder solche die Garten- oder Ackerland querten, waren beidseits von Trockenmauern gesäumt, diese sind leider mehrheitlich beschädigt oder auseinander gebrochen. An zwei Abschnitten lässt sich nachweisen, dass im Innern der Mauern hölzerne Wasserleitungen verliefen. Kurze vernässte Wegabschnitte sind mit Steinen „gepflästert“. Es ist das Verdienst der AVC dass er in Absprache mit den Grundeigentümern wieder durchgängig geöffnet werden konnte. Eine frühere Abzweigung auf der Höhe von 1035 Metern ü.M. direkt hinauf in den zentralen Teil von Lasciallo, ist nicht mehr begehbar. Im Mai 1981 haben Schülerinnen und Schüler der Kantonsschule Sursee im Auftrag der Gemeinde einen Fussweg ab der Fahrstrasse bei Mont Dalta nach Artoalla und La Motta erstellt.

Wichtig ist weiter die Erhaltung von historischen Gebäuden. Von überragender Bedeutung ist die prachtvolle barocke Kapelle im Weiler Lasciallo, die im ersten Jahrzehnt des 17. Jh. erbaut und 1993 bis 1995 umfassend restauriert wurde. Der Anstoss zur erfolgreichen Restauration des vom Bistum und den kantonalen Instanzen bereits abgeschriebenen Bauwerkes ist 1991von mir ausgegangen. Obschon von bescheidenen Dimensionen darf die Kapelle als eines der harmonischsten und kostbarsten Zeugnisse des Barock in unseren Breitengraden betrachtet werden. Die Kapelle ist ein unumstösslicher Beweis für die einstige Bedeutung dieses Siedlungsplatzes und der zugehörigen landwirtschaftlichen Nutzflächen, insbesondere des früher so wichtigen Ackerlandes. Die AVC hat den um die Kapelle emporgeschossenen Jungwald abgeholzt und erledigt seit der Restaurierung alle anfallenden Umgebungs- und Pflegearbeiten. (Weitere Informationen im Kunstführer <Cappella San Antonio di Padova Lasciallo>).

Zur historischen Kulturlandschaft gehören aber insbesondere die traditionellen landwirtschaftlichen Bauten. Die frühere Landwirtschaft mit den jahreszeitlichen Wanderungen von Mensch und Vieh gibt es nicht mehr, die Gebäude auf den Maiensässen haben daher ihre Funktion eingebüsst. Wenn keine Umnutzung möglich ist, zerfallen sie früher oder später, in welchem Umfang dies bereits geschehen ist haben wir bereits festgehalten. Wir müssen Eigentümer, welche bereit sind noch intakte traditionelle Gebäude in ihrer ursprünglichen Form zu erhalten, unterstützen. Bis anhin haben wir uns diesbezüglich in Artoalla engagiert, wo wir Küche, Stanzin und zwei Ställe früher als Basislager für unsere Arbeitseinsätze benutzt haben. Hier helfen wir mit, die Verbuschung der Weideflächen zu verhindern, die Offenhaltung einzelner Wiesen und Weiden auch im Bereich der höher gelegenen Maiensässe ist ein wichtiger Beitrag zur Biodiversität und zu einem vielseitigen, für Touristen attraktiven Landschaftsbild. Sehenswert sind auch eine alte Wasserfassung am Hang für einen Weidebrunnen sowie der Wasserkanal gegen Sisielma und die kleine Gartenterrassen am Fels.


Instandgesetzte Ackerterrassen als wichtige Zeugnisse zur Agrargeschichte

Getreidebau ist im inneren Calancatal nur bei günstigen mikroklimatischen Gegebenheiten Erfolg versprechend. Innerhalb der ehemaligen Gemeinde Cauco finden wir diesbezüglich unter der Felswand über Lasciallo besonders günstige Verhältnisse vor. Dennoch befindet sich der Getreideanbau hier sowohl klimatisch wie topographisch in einer ausgesprochenen Grenzlage. In den Jahren 2006 bis 2010 wurden dort auf zwei Projektflächen die alten Terrassen gerodet, vermessen und die gebrochenen Trockenmauen wieder hergestellt. A „Ciüs di Lascial“ (1050 m2, 71 Meter Mauern wieder aufgebaut/ instandgestellt). „Ciüs“ erreicht man ab der Informationstafel in Lasciallo über einen durch Ruinenreste aufwärts führenden Fussweg in weniger als fünf Minuten. Es handelt sich um eine ursprünglich vollständig durch Mauern abgeschlossene Anlage, wo durch den aufwendigen Mauerbau ein günstiges Mikroklima für den Getreideanbau geschaffen wurde. Die Anlage lehnt sich seitlich an eine Seitenmoräne. Die vielen Richtungswechsel der Mauern sind bedingt durch die Geländeformen und grosse Felsbrocken. Im Durchschnitt wurden für einen Quadratmeter Anbaufläche mehr als 800 Kilogramm Steine in Mauern verbaut und dies ausschliesslich mit menschlicher Arbeitskraft! Über den „Steinigen Weg“ (siehe Prospekt), der einen Einblick in den Landschaftswandel vermittelt, gelangt man in rund 10 Minuten zur zweiten Projektfläche, mehr Felsengarten als Terrassenanlage. B „Al Sborf“ (715 m2, 76 Meter Mauern wieder aufgebaut/ instandgestellt). Im Areal „Al Sborf“ stehen Natur und Menschenwerk gleichwertig nebeneinander, die teilweise megalithisch anmutenden Mauern lehnen sich an mächtige Felsen, deren Wärmerückstrahlung und Windschutzwirkung voll genutzt wird. Kaum irgendwo wird eindrücklicher sichtbar, wie knapp der Lebensraum vor 300 und mehr Jahren im Calancatal war. Das Areal mit den wiederhergestellten Mauern dokumentiert Getreidebau hart an der Grenze des Möglichen, entsprechend eindrücklich ist das Bild dieser „Äckerlein“, die bis zur Mitte des 19. Jh. einen wichtigen Beitrag zur Ernährung der Familien leisteten. Die notwendigsten Sicherungs- und Restaurierungsarbeiten an den Mauern wurden im Jahre 2011 abgeschlossen, doch gibt es laufend weitere Arbeiten zu erledigen. Im Unterschied zur Restaurierung der Terrassen von La Scata in der Gemeinde Rossa haben wir die alten Mauern so wieder hergestellt wie sie hier einstmals ausgesehen haben und dabei auf Maschinen und moderne Werkzeuge verzichtet. So wird dem Betrachter ein unverfälschter Einblick in die vergangenen Zeiten ermöglicht, Zeiten in denen der Arbeitsaufwand möglichst klein gehalten werden musste, da wegen der saisonalen Auswanderung vieler Männer die Arbeitskräfte knapp waren.

Lageplan zu den Ackerterrassen:

Ackerterrassen.jpg


Daten zu den Ackerterrassen am Hang über Cauco (südlich Ria de La Motta):

(Basis: Detaillierte Aufnahmen im Gelände.)

Hangneigung im Mittel 30° (27°-33°)

Terrassenmauern 7930 Meter davon im Areal unter der Felswand über Lasciallo 1950 Meter

Netto-Anbaufläche: 325 – 335 Aren (von Koordinatenpunkt 132.610 bis 132.925) 80 Aren Breite der Mauern: 55 – 60 cm Mittlere Terrassenbreite bei Hangneigung von 30° 4.60 Meter (inkl. Mauer)

Neigung der Anbaufläche 7° - 12°

Baumaterial für die Terrassenmauern je nach Gelände 300 bis 600kg Steine für 1 m2 Anbaufläche, im Extremfall für kleine Terrassen bis 1Tonne pro m2.


Plan.jpg

„Ciüs di Lascial“

Plan der Terrassenmauern (oben) und Hangprofil (unten) (1 : 500)


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Artoalla und La Motta: Zwei Maiensässe – zwei unterschiedliche Schicksale

Das rund 200 Höhenmeter über dem Dorf gelegene Artoalla war das grösste Maiensäss von Cauco. Sieben Gebäude sind übrig geblieben von einer temporären Wohnsiedlung mit 25 Familien, die 54 Gebäude umfasste. Auf diesem Maiensäss lebten, wie die Anzahl Kochstellen in den Gebäuden und Ruinen belegt, im Sommer und Herbst rund ein Drittel der Familien der ehemaligen Gemeinde Cauco. Sein Niedergang begann in der Zeit nach 1740 und setzte sich im 19. Jahrhundert fort. In den frühen Jahrzehnten des 19. Jh. werden erste Dächer und Gebäude eingestürzt sein, da inzwischen mindestens ein Drittel Familien weniger in Artoalla lebten als 100 Jahre zuvor. Um 1900 befindet sich fast die Hälfte der Cascinas in verschiedenen Stadien des Zerfalls, nur noch 8 Familien sind mit ihren Tieren in Artoalla, 1930 sind es noch 6 und 1950 deren 4. Kurze Zeit danach gehört der jahreszeitliche Nomadismus der Bauern der Vergangenheit an. Der Niedergang im 19. Jahrhundert wurde durch einschneidende Umstellungen innerhalb der Berglandwirtschaft beschleunigt. Die Zunahme der Rinderhaltung bei gleichzeitiger Aufgabe des Getreideanbaus begünstigte das 100 Meter höher gelegene La Motta mit sicherer Wasserversorgung und besserem Zugang zu geeigneten Weiden für Rindvieh. Aus diesen Gründen haben manche Bauern ab der zweiten Hälfe des 19. Jh. in La Motta investiert, 12 von 16 Gebäuden stammen dort aus dieser Zeit. Stall, Küche und Schlafraum sind nun häufig getrennt, die Wohnverhältnisse weniger primitiv als zuvor. La Motta steht für die Zeit, in der auch die Calanker Berglandwirtschaft sich fast ausschliesslich auf die Viehhaltung zu stützen begann. Im Raum Artoalla ist das Gelände steiler, felsiger und von tiefen Spalten durchzogen. Hier waren einst gut 25% des Kulturlandes für den Anbau von Getreide terrassiert, ein Handicap für den Weidebetrieb. Die Parzellierung des Grundbesitzes zufolge der Landknappheit hatte extreme Ausmasse angenommen. Die durchschnittliche Parzellengrösse lag 1970 bei 2 ½ Aren, im wertvollsten terrassierten Gelände gab es Parzellen mit weniger als 50 m2 Fläche! Hier ist auch nach der Zusammenlegung der Parzellen kein Weidebetrieb möglich ohne dass sich Steine aus den vielen Trockenmauern lösen und wegrutschen oder –rollen, so dass nachher die kleine Wiese nicht einmal mehr mit der Sense ordentlich gemäht werden kann. Wer hier in Artoalla als Kind seinen Eltern bei der Feldarbeit geholfen hat wird ein Leben lang zu jeder Handvoll Heu Sorge tragen und seine Kinder fragen sich, wieso man diesen Hang jemals genutzt hat. Wir Menschen von heute dürfen den frühern Generationen danken für die uns hinterlassene vielfältige Kulturlandschaft, die wir bestaunen und erleben können.