Val Calanca

Aus Monti di Cauco
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Dieser Abschnitt behandelt einige grundlegende Aspekte des Calancatals aus geographischer und historischer Perspektive.


Naturraum und Raumnutzung

Die traditionelle Bergbauernwirtschaft der Südalpentäler hat die Naturgrundlagen mit enormem Arbeitsaufwand erheblich umgestaltet, ohne diese zu zerstören. Auf solche Ziele müssen wir wieder hinarbeiten: weniger nur punktuellen Schutz der Natur in Reservaten sondern vielmehr insgesamt eine Raumnutzung, die auf Erhaltung der ökologischen Stabilität ausgerichtet ist. Bedingt durch die bescheidenen technischen Möglichkeiten und den geringen Einsatz von Energie bleibt der Lebensraum Calancatal im Rahmen der traditionellen Berglandwirtschaft stark naturgeprägt und für lange Zeit weitgehend isoliert. Das Resultat war ein überwiegend autarker bäuerlicher Wirtschaftsraum alpiner Prägung, in dem bis heute die Dominanz der Naturkräfte sichtbar bleibt.

Das Calancatal zieht sich als 26 km lange, tiefe und enge Furche zwischen hohen steilen Bergen fast genau von Nord nach Sud dahin. Ein eigentlicher Talboden existiert nur auf kurzen Abschnitten (insgesamt weniger als 5 km), und er bleibt auch dort eng und durch den Fluss gefährdet. Aus vielen Jahrhunderten sind Überschwemmungen überliefert, und erst die umfangreichen Verbauungen der Calancasca nach der Katastrophe von 1951 boten seither ausreichenden Schutz. Die stete Gefährdung des Talbodens hatte Einfluss auf die Wahl der Siedlungsstandorte. Die Dörfer finden wir auf den Schuttkegeln der Seitenbäche (Arvigo, Selma, Bodio, Rossa) oder auf Hangterrassen (Braggio, Landarenca, Masciadone, Sta. Domenica etc). Für den Abschnitt Cauco - Selma gibt es Hinweise, dass die Terrassen früher besiedelt wurden als die Talsohle. Logischerweise sind auch die landwirtschaftlichen Nutzflächen im Bereich des Talbodens nicht ausgedehnt. Weniger als 10% der Nutzflächen entfielen 1929, in einer Zeit als die Landwirtschaft im Tal noch intakt war, auf die Talsohle. Diese Felder sind aber, zusammen mit wenigen flachen Terrassen, die einzigen, die z. Beispiel mit einem Ladewagen befahrbar sind. Die Talflanken sind im Mittel sehr steil und immer wieder von Felsbändern durchsetzt. Siedlungen und Agrarland konzentrieren sich daher auf die vorerwähnten Terrassen. Bedingt durch den starken Bevölkerungsdruck im Hochmittelalter wurden allerdings in Siedlungsnähe auch sehr steile Lagen in die Nutzung einbezogen wo Geländeform (Lawinenzüge) und Hangstabilität nicht einen Schutzwald unentbehrlich machten. Auch für die aktuelle wirtschaftliche Situation sind die steilen Talflanken mitverantwortlich. Wo der Bau von Erschliessungsstrassen nicht möglich bzw. zu teuer ist, wird die landwirtschaftliche Nutzung in den meisten Fällen aufgegeben. Die Felsbänder wiederum verhindern den Bau von Skipisten und liessen so keinen bedeutenden Wintersportbetrieb zu. Da dadurch der Anreiz für eine touristische Erschliessung durch Seilbahnen etc. fehlt, blieb das Tal vom Massentourismus unberührt. Die klimatischen Randbedingungen variieren innerhalb eines Bergtals sehr stark, dies gilt vorallem für Temperatur und Besonnung. Niederschläge fallen im allgemeinen in ausreichenden Mengen, doch führen Trockenperioden, auch wenn sie in den Bergen weniger ausgeprägt sind als im Südtessin, gelegentlich zu Ernteeinbussen. Die Dauer der Vegetationszeit hängt von der Höhenlage ab (100m Höhendifferenz bedeuten eine Verkürzung der Vegetationszeit um durchschnittlich 12 Tage), wird aber auch durch die winterlichen Schneemengen und die Exposition beeinflusst. Der letztere Faktor zeichnet generell verantwortlich für eine mikroklimatische Vielfalt, die zweckmässig genutzt werden kann. Das Calancatal liegt an keiner zentralen Verkehrsachse. Nach Süden zu behindert eine tiefe Schlucht den Zugang zur San Bernardino-Route, im Norden führt der Zugang über lange Passwege, die nie zu Strassen ausgebaut wurden und die im Winter zugeschneit sind. Diese periphere Lage hat die in der romanischen Berglandwirtschaft vorhandene Tendenz zur Selbstversorgung verstärkt. Die angestrebte Autarkie erlaubte den Bauern keine der Natur angepasste Spezialisierung. So stand, trotz diesbezüglich ungünstigen Bedingungen, der Ackerbau gleichwertig neben der Viehhaltung. Unter riesigem Arbeitsaufwand wurden Ackerflächen hergerichtet, bebaut, gepflegt und abgeerntet. Auch der Obstbau hatte einen ganz anderen Stellenwert als heute. Dennoch wäre eine ausreichende Ernährung der Bevölkerung wohl nicht zu erreichen gewesen ohne die Esskastanie, die bis Buseno kultiviert wurde mit Ernterechten auch für viele Familien im inneren Tal. Ungeachtet aller Anstrengungen war die Autarkie, zumindest seit dem Mittelalter, nie eine vollständige. Man tauschte Waren auf den Märkten von San Bernardino, Mesocco und Bellinzona und seit dem 16. Jahrhundert trug eine verbreitete temporäre Berufsauswanderung zur Sicherung der materiellen Existenz der Familien bei.


Besiedlung

Funde frühneolithischer Bauern (ca. 4‘500 BP) auf der Terrasse von Castaneda - Der Name „Calanca“ (abschüssiger Ort) verweist auf ligurische Einwanderer (8. Jh. v. Chr.) - Eisenzeitliche Gräber in Augio und keltische Namen (u. a. Arvigo) zeigen, dass auch das innere Tal schon früh von ersten Siedlern aufgesucht wurde - Ab 1. Jahrhundert n. Chr. bringen die Römer die lateinische Sprache, später folgen germanische Völker (Langobarden etc.) - Eine dichtere Besiedlung des inneren Tales setzte aber wohl erst im Mittelalter ein und zwar, bedingt durch die Schlucht am Taleingang, vorwiegend über Terrassen (Giova, Sta.Maria) und vorallem von San Bernardino her. Auslöser war die durch ein starkes Bevölkerungswachstum zur Zeit des Klimaoptimums verursachte Raumknappheit, die nach einer Ausweitung des Siedlungsraums rief (Binnenkolonisation). Im Hochmittelalter (ab Ende 13.Jh.) kommt es unter den Herren von Sax auch zur Ansiedlung von Walsern, ein Vorgang der ebenfalls durch Ortsnamen etc. belegt ist (Bodio, Landarenca). Die insgesamt starke Zuwanderung von Norden her ins Tal wird durch sprachgeschichtliche Untersuchungen belegt (mündliche Mitteilung des Dialektforschers Giacomo Urech). So treffen und überschneiden sich Einflüsse von Süden (Misox, Tessin) und Norden (Zentralalpen).


Siedlungen

Die vertikale Erstreckung der Bauernbetriebe über alle Höhenstufen hat Konsequenzen für die Siedlungsstruktur. Jeder einzelne Betrieb benötigt neben dem Hauptwohnplatz im Dorf zahlreiche, nur saisonal genutzte Gebäude auf den entfernten Betriebsflächen. Wegen den weitgehend fehlenden Fahrwegen war die Anzahl Gebäude pro Betrieb im Calancatal besonders gross. Für Cauco können auf Grund sorgfältiger eigener Detailuntersuchungen genauere Angaben zur Gebäudezahl pro Bauernbetrieb bzw. pro Einwohner gemacht werden. Einem Maximalstand von ca. 400 Einwohnern entsprachen 76 Wohnhäuser in den Dauersiedlungen Bodio, Cauco, Lasciallo, Masciadone und Rode sowie knapp über 80 bäuerliche Betriebe. Zusammen mit den 369 erfassten kleineren und grösseren „Wirtschaftsgebäuden“ ergibt sich folgendes Bild: Auf 1 Bauernbetrieb entfielen im Mittel zusätzlich zum Wohnhaus rund 4,5 Wirtschaftsgebäude (inkl. Käsekeller, Speicher etc.) und damit je Einwohner etwas mehr als ein Gebäude.


Abwanderung - Die grosse Wende

Das augenfälligste äussere Merkmal der Kulturlandschaft des Calancatals sind die unübersehbaren Spuren der Entvölkerung: Ruinen, vergandende Wiesen und Weiden, kaum noch auffindbare Fusswege, Buschwald aus Lichtholzarten usw. Spätestens seit Beginn der Neuzeit war der inneralpine Raum bereits bis an die Grenze seiner Tragfähigkeit besiedelt. Wenn nicht Seuchen oder Katastrophen die Bevölkerung dezimierten, führte das natürliche Bevölkerungswachstum bald einmal zur Verknappung des kargen Lebensraums. Der wachsende Bevölkerungsdruck zwang zur: - Abwanderung eines Teils des Geburtenüberschusses - saisonalen oder temporären Auswanderung von Berufsleuten (Söldner, Maurer, Harzer, Glaser, Maler etc.). Die starke Bindung an die Heimat und insbesondere an die Dorfgemeinschaft begünstigte eine temporäre Auswanderung. Junge Männer zogen für kürzere oder längere Zeit in die Fremde, um dort ihren Lebensunterhalt und womöglich noch einen Zustupf für die Familie zu Hause zu verdienen. Diese Art der Berufsauswanderung hat im Calancatal (wie in anderen Südalpentälern) während gegen 500 Jahren eine zentrale Rolle gespielt. Die Geschichte dieser Auswanderung soll hier nicht nacherzählt werden, nur auf zwei Auswirkungen sei kurz hingewiesen. Durch die ins Tal fliessenden finanziellen Mittel konnte lange Zeit eine relativ hohe Bevölkerungszahl gehalten werden und eine bedeutende Zahl kunstgeschichtlich wertvoller Bauten verdankt ihre Existenz dem Geld aus der Fremde. Andererseits entfremdeten sich die Männer zusehends der materiellen Existenzgrundlage im Tal, der Berglandwirtschaft. Die Hauptlast der bäuerlichen Arbeiten ruhte auf den Schultern der Frauen, und körperlich schwere „Männerarbeit“ wie Säuberung der Alpen, Instandstellung der Wege dorthin usw. blieben unverrichtet oder mussten in Lohnarbeit vergeben werden. Eine frühe Vernachlässigung der Alpwirtschaft und die Erhaltung der landwirtschaftlichen Zwergbetriebe bis in die zweite Hälfte des 20. Jh. sind unübersehbare Folgen dieser Entwicklung. Im 18. Jahrhundert setzte, bedingt durch die massive Klimaverschlechterung, eine Dauerauswanderung ein, ganze Familien verliessen der Not gehorchend das Tal, das nicht mehr so viele Menschen ernähren konnte. Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts liegen die Gründe für den Wegzug nicht mehr in der unmittelbaren Bedrohung der materiellen Existenz. Entscheidendes Motiv werden die bezüglich Arbeitsbedingungen und Entgelt attraktiveren Beschäftigungsmöglichkeiten in der Fremde und seit den 70 er Jahren des 20. Jahrhunderts zusätzlich der allmähliche Zusammenbruch der dörflichen Infrastruktur, die Krise der kränkelnden Dorfgemeinschaft, die nicht mehr Rückhalt und Sicherheit zu bieten vermag, und schliesslich die um sich greifende Resignation.

Bereits zwischen 1870 und 1880 hatte das Calancatal die Hälfte seiner ursprünglichen Bevölkerungszahl (3‘300) verloren. Diese Entwicklung hat sich bis zur Volkszählung im Jahre 1990 fortgesetzt. Besonders stark waren die Einbussen im Jahrzehnt zwischen 1950 und 1960, seither hat sich der Rückgang kontinuierlich verlangsamt.


Heute - Eine Peripherie in allen Sektoren

Ungeachtet des massiven Zusammenbruchs der Berglandwirtschaft, der die Existenz der Gemeinden ernsthaft bedroht, entfallen in Buseno, Braggio, Cauco, Selma und Sta. Maria noch mindestens ein Drittel aller Arbeitsplätze auf die Landwirtschaft (in Cauco gut 50%). Für diese kleinen Dorfgemeinschaften bleibt die Landwirtschaft nicht nur wegen der Landschaftspflege sondern auch zur Erhaltung einer erforderlichen Mindestzahl an Einwohnern absolut unentbehrlich. In diesem Zusammenhang darf die Bedeutung von landwirtschaftlichem Nebenerwerb nicht unterschätzt werden. Der typische Landwirtschaftsbetrieb von heute ist ein Viehzuchtbetrieb. Das war früher anders: charakteristisch für den südalpinen Siedlungsraum waren auf Selbstversorgung ausgerichtete Betriebe mit Ackerbau und Viehhaltung. Die oft in Steilhängen angelegten ehemaligen Ackerterrassen geben diesem Raum noch heute ein besonderes Gepräge, obwohl die Selbstversorgungswirtschaft zusammengebrochen ist. Im Zuge des allgemeinen Niedergangs der Landwirtschaft sind dennoch die Viehbestände heute kleiner als im 19. Jahrhundert. Die Betriebszahl ist massiv geschrumpft: 305 (1905) 314 (1929) 171 (1969) 94 (1985).

In zahlreichen Schriften wird erwähnt, dass der Ackerbau (speziell der Getreidebau) einst viel verbreiteter gewesen sei. A. Bertossa erwähnt in seiner „Geschichte des Calancatals“ auch, dass im Tal einst 42 Mühlen gezählt wurden (für jeden grösseren Siedlungsplatz eine),von denen aber bereits 1929 nur noch 3 in Betrieb waren. Arealstatistiken aus der Zeit vor 1900 existieren nicht. Wie stark der Ackerbau verbreitet gewesen sein muss, lässt sich auf Grund der unzähligen von Menschenhand angelegten Terrassen erahnen. Besonders beeindruckend sind an Felsen „geklebte“ Kleinterrassen, mit denen besonders günstige mikroklimatische Standorte bis auf über 1‘300m ü. M. genutzt wurden. Das verfügbare Ackerland muss dereinst für die ansässige Bevölkerung sehr knapp gewesen sein. Im Jahre 1905 haben im Calancatal noch über 50% der Betriebe Getreide angepflanzt, allerdings nur sehr kleine Flächen und vermutlich hauptsächlich um einen Fruchtwechsel mit der Kartoffel zu erzielen. Für das Jahr 1917 werden im Calancatal noch rund 6ha Getreideausgewiesen, davon 4/5 Roggen. In Arvigo, Landarenca, Cauco und Sta. Domenica gab es bereits keine Getreidefelder mehr. Kartoffeln haben 1929 noch 3 Gemeinden über den Eigenbedarf hinaus angebaut. Parallel mit der bereits wiederholt angesprochenen Krise der Landwirtschaft ist auch die landwirtschaftlich genutzte Bodenfläche im Tal ganz erheblich geschrumpft.Der Flächenverlust kann wegen vermessungstechnischen Korrekturen des Gesamtareals nicht exakt beziffert werden. Der Rückgang der Betriebszahl auf weniger als ein Drittel in nur 80 Jahren ist im Calancatal keineswegs nur auf eine Konzentration in grössere, unserer Zeit angepasste Betriebseinheiten zurückzuführen. Vielmehr wird, wie bereits erwähnt, ein beachtlicher Teil der früheren agrarischen Kulturfläche nicht mehr genutzt. Dieser Vorgang hat, wie die Bevölkerungszahlen vermuten lassen und Detailuntersuchungen in Cauco klar bestätigt haben, bereits im letzten Jahrhundert eingesetzt. Dies belegen zahlreiche schon um 1920 verödete Alpweiden und verwaldete Maiensässe. Ich habe viele von Menschenhand terrassierte ehemalige Kulturlandflächen gefunden, auf denen über 100-jährige Bäume stocken. Eine grobe auf Stichproben beruhende Schätzung ergibt, dass bis heute im Tal insgesamt mehr als die Hälfte des einstigen Kulturlandes aufgegeben wurde, bereits nach dem 1. Weltkrieg waren es zwischen 10 und 20% der ursprünglichen Fläche. (Vgl. auch Untersuchung der Kulturlandfläche in Cauco.) Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass die Landwirtschaft des Calancatales, die einst für über 600 Haushalte ganz oder teilweise die wirtschaftliche Grundlage war und die Versorgung mit Nahrungsmitteln sicherstellte, 1990 nur noch gerade für rund 30 Familien das hauptsächliche Einkommen geliefert hat. Die statistischen Zahlen belegen ferner einen starken Rückgang der Rinderhaltung bereits in der Zeit vor dem 2. Weltkrieg (einzige Ausnahme war Cauco). Seither hat sich der Bestand nochmals mehr als halbiert. Die Ziegenhaltung hat bis 1945 keine wesentliche Abnahme erfahren. Dies hängt u. a. mit der zunehmenden Bewirtschaftung der Zwerggüter durch die Frauen zusammen. Mit dem Verschwinden des grössten Teils dieser Zwergbetriebe in den letzten drei Jahrzehnten hat auch die Ziegenhaltung stark abgenommen. Die Schweine- und Geflügelhaltung sind im Tal nahezu bedeutungslos.

In diesem Bereich konnte die Zahl der Arbeitsplätze im Tal im Verlaufe des 20. Jh. um rund 50% gesteigert werden, dennoch ist ihre Gesamtzahl (zwischen 130 und 160) bescheiden geblieben. Verantwortlich für die Zunahme ist die Ansiedlung von Baugewerbebetrieben in Augio und Castaneda. Dieser Zugewinn wird durch Arbeitsplatzverluste im Bereich der kleinen dörflichen Handwerksbetriebe geschmälert. Von den 17 Handwerksbetrieben im Jahre 1905 sind 2/3 verschwunden, das Auftragsvolumen wurde zu klein. Zumindest im inneren Tal gibt es für die meisten handwerklichen Tätigkeiten kein ortsansässiges Personal mehr. Wichtigster Arbeitgeber waren und sind die Steinbrüche in Arvigo, in denen freilich nur wenig Einheimische arbeiten.

Das in der Schweiz und insbesondere in den prosperierenden Bergregionen ausgeprägte Wachstum des Tertiärsektors ist bis heute im Calancatal ausgeblieben. Die Zahl der Beschäftigten konnte sich im Zeitraum zwischen 1905 und 1990 nur halten, weil im in den 80er Jahren neu eröffneten Rehabilitationszentrum in Castaneda eine stattliche Zahl von neuen Arbeitsplätzen geschaffen wurden. Bedingt durch den Bevölkerungsrückgang sind 2/3 der Lebensmittelläden verschwunden und auch die Zahl der Gastwirtschaften hat um 1/5 abgenommen. Die letztere Feststellung spiegelt auch den Umstand wieder, dass es bis 1990 nicht gelungen ist, einen namhaften touristischen Aufschwung herbeizuführen. Die dank zahlreichen kleinen (meist privaten) Einzelprojekten gestiegenen Besucherzahlen vermochten aber immerhin den weiteren Zusammenbruch im Gastgewerbe und im Detailhandel aufzuhalten. Da die schrumpfenden Bevölkerungszahlen allenthalben die dörflichen Infrastrukturen bedrohen (Verlust der Dorfläden, Poststellen, Gemeindeverwaltungen etc.) gehen auch so laufend Beschäftigungsmöglichkeiten verloren.


Ausblick

Innerhalb des Tertiärsektors weist nur gerade der Bereich Tourismus eine positive Entwicklungstendenz auf. Für ein Bergtal ist sein Umfang immer noch sehr bescheiden, doch hat er in den vergangenen Jahren deutlich zugelegt. Dank den Bemühungen verschiedener Privatleute und Vereine ist es gelungen, das Calancatal als Erholungsort und Wanderparadies bekannter zu machen. Haupthindernis für einen Aufschwung waren zu Beginn der Achtzigerjahre die meist zugewachsenen und kaum noch auffindbaren Fusswege, das dürftige Angebot in den Gaststätten und das Fehlen jeglicher Werbung. Positive Signale gingen ausser von verschiedenen Organisationen auf Gemeindeebene („Pro Selma“ etc.) von der ASAC (einem Verein für Höhenwege im Calancatal) aus. In der von dieser Organisation 1982 erbauten Buffalorahütte werden heute jährlich gegen 1000 Übernachtungen gezählt. Zugegeben, der Höhenwanderweg verläuft weit über dem Tal, die Frequenzen auf diesem Weg dürften aber doch grob die Entwicklung des Wandertourismus im Tal wiederspiegeln. Persönlich setze ich mich seit langem dafür ein, dass dieser prachtvolle Bergweg besser mit den Dörfern im Tal verbunden wird und generell das Wanderwegnetz in den mittleren Höhenlagen verbessert wird. Weniger bergtüchtige Erholungssuchende können auch ein reiches kulturelles Erbe bewundern oder ganz einfach die Stille der Natur geniessen.

Mit dem Scheitern des Nationalpark-Projekts «Parc Adula» im Jahre 2016 wurde insbesondere dem Calancatal einerseits eine vielversprechende Entwicklungsperspektive geraubt - der aber nach erfolgreicher Abstimmung 3 Jahre später ins Leben gerufene «Parco Val Calanca» vermag andererseits als vierter «regionaler Naturpark» womöglich auf das Tal spezifisch (noch) angepasstere Lösungen bieten! (https://www.parcovalcalanca.swiss)